Vor einigen Jahren kam in den Medien die Meldung, der Spatz gehöre bald zu den bedrohten Vogelarten. Der Lebensraum dieses Vogels sei in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker eingeschränkt worden durch Veränderungen in der Landwirtschaft, besonders durch Pestizide zur Bekämpfung des Unkrautes auf den Feldern, geschlossener Räume bei der Tierhaltung usw.
Ich wurde stutzig. Der Spatz war gefährdet? Unmöglich!
Der Blick ging zurück in meine Kindheit vor rund 70 Jahren auf einen Bauernhof zwischen Ostsee und Schlei in Schleswig-Holstein, wo uns der Krieg hin verschlagen hatte:
Überall Spatzen! Im Sommer beim reifen Getreide auf den Feldern, beim Dreschen auf dem Hof, in allen Ställen bei den Pferden, Kühen, Schafen, Schweinen und besonders auf dem Hühnerhof und bei den Gänsen. Alle Hoftiere bekamen den Weizen oder Hafer als Futter auf den Boden oder in Tröge geschüttet und damit ein riesiges Angebot für die Spatzen. Die Spatzen nisteten in jeder Lücke, die sich an den Gebäuden bot, besonders gern unter den reetgedeckten Dächern.
In großen Schwärmen fielen die Spatzen über das Futter her. Doch das gefiel den Bauern nicht. Also beschlossen sie im Gemeinderat gegen die Übermacht der Spatzen vorzugehen. Beschluss: „Für jeder tot abgelieferte Spatz gibt es 5 Pfennig.“ Damit erschloss sich für uns Jungen im Alter ab etwa 8 Jahren ein neues Betätigungsfeld. Wir bastelten Katapulte (Fletschen) und nahmen mit Erfolg die Jagd auf Spatzen auf. Sitzender Spatz, Ziel, Treffer. So kam jeder von uns Jungen in der Sommerzeit auf 4 bis 6 Spatzen pro Woche und somit auf 20 bis 30 Pfennig.
Nicht ganz legal konnten wir unsere Einnahmen leicht erhöhen: Die toten Spatzen wurden in eine Tonne beim Gemeindevertreter geworfen. Wenn die Luft rein war und uns keiner beobachten konnte, holten wir uns aus der Tonne wieder einige tote Spatzen heraus, packten sie in eine mitgebrachte Papiertüte und lieferten diese Spatzen am nächsten Tag wieder gegen Belohnung ab.
Diese Geschichte kam mir wieder in den Sinn, als ich vor 2 oder 3 Jahren von der Bedrohung der Spatzen hörte. Darauf beschloss ich, zu dem aufgestellten Vogelhaus noch zusätzlich Meisenknödel an Zweigen der Bäume oder Sträucher im Garten aufzuhängen. Und wenn die 5 bis 7 Netze leer sind, werden sie von mir fast täglich mit groben Haferflocken nachgefüllt.
Zu meiner großen Freude kam im Laufe der Zeit ein Schwarm mit 8 bis 20 Spatzen. Es wimmelt in den Sträuchern, Blumenkästen und auf dem Rasen. Der ganze Garten lebt. Sie kommen seitdem täglich zu allen Tageszeiten. Dann hört man das „Tschiep, Tschiep“ und das Rufen der Kinderspatzen nach ihren Eltern. Dazu gesellen sich die heimischen Kohl- und Blaumeisen, Amseln, Rotkehlchen, Zaunkönig seltener Dompfaff- und Buchfink Pärchen und seit einigen Wochen sogar ein Buntspecht.
Gern schaue ich den Spatzen zu, wenn sie einzeln oder zu zweit einträchtig an einem Futtersäckchen mit Haferflocken picken. Allerdings geht es auch heftig zu, wenn mehrere Spatzen kämpferisch um das Futter miteinander streiten. Das „Tschiep, Tschiep“ ist dann laut und angriffslustig.
Eindrucksvoll sind die Fütterungen der Spatzenkinder, wenn sie von Mutter- oder Vaterspatz gefüttert werden. Die jungen Spatzen, teilweise noch mit Flaum zum Federkleid, betteln intensiv mit den Flügelschlagen und weit aufgerissenem Schnabel. Erstaunlich ruhig und übersichtlich füttern trotzdem die „Alten“ die „Jungen“ nacheinander.
Meine Frau Margret hat gern die Fotokamera genommen und diese wunderschönen Momente im Bild festgehalten.
Ich bin vom Jäger zum Pfleger geworden.
Herbert Raddatz für den Text und Margret Raddatz für die Bilder
Juli 2020